Das Erfolgsgeheimnis der Freimaurerei

»DAMALS – Das Magazin für Geschichte« widmet den Schwerpunkt der Ausgabe 5/2012 der Freimaurerei und lässt dabei vor allem führende Freimaurer-Forscher zu Wort kommen. Ergebnis ist: Das Beste, was ich in letzter Zeit zum Thema in der Hand hatte! Beim Querlesen zeigt sich: Das Erfolgsgeheimnis der Freimaurerei war vor rund 300 Jahren ein nahrhaftes Produkt aus vielen verschiedenen Zutaten und: Gewieftes Marketing!

Prof. Jan Snoek von der Uni Heidelberg, selbst Logenmitglied, schildert in seinem Artikel vor allem den aktuellen Stand der titelblatt0512Freimaurer-Forschung: Was man heute als freimaurerisches Brauchtum kennt, ist eine überaus komplexe Mixtur verschiedenster gehaltvoller Zutaten der Geistesgeschichte:

»Die freimaurerischen Rituale (…) wurzeln nicht nur in der christlichen Tradition, sondern auch in jener der Steinmetzen und Bildhauer sowie in einer Reihe westlich-esoterischer Traditionen, zum Beispiel der Alchemie und der Kabbala.«Freimaurerei ist also zwar tatsächlich maßgeblich aus den Steinmetzbruderschaften der gotischen Kathedralenbauer hervorgegangen, wurzelt rituell jedoch tiefer und teilweise immer noch im Verborgenen.

Klarer ist dagegen, was nach dem Übergang von der tatsächlichen auf die geistige Baukunst und die erste Großlogengründung 1717 folgte: Ein beispielloser Boom! Freimaurerei war gefragt. Doch die Brüder standen mit ihrem offenbar attraktiven ›Produkt‹ vor einem Dilemma: Der Kern der Freimaurerei, das bislang nur ›Eingeweihten‹ überlieferte Ritual, durfte traditionell eigentlich nur mündlich weitergegeben werden – viel zu aufwändig, um möglichst schnell der großen Nachfrage nachkommen zu können.Also fanden Pragmatiker eine Lösung, die einem kleinen ›Marketing-Coup‹ nahekommt:

»Neue Rituale lassen sich in der Regel nur durchsetzen, wenn sie schriftlich verfügbar sind, daher wurden sie 1730 publiziert. Weil die Mitglieder aber hatten schwören müssen, dass sie die Rituale nicht aufschreiben, geschweige denn drucken würden, tarnte man die Veröffentlichung damals als Schrift eines Verräters: Ein ehemaliges Mitglied, Samuel Prichard, habe seinen Eid gebrochen und die Rituale publiziert. Tatsächlich handelt es sich aber mit Sicherheit um Rituale, die von Freimaurern für Freimaurer veröffentlicht worden sind. Nun war das System zum Export in die ganze Welt geeignet. Die Freimaurerei verbreitete sich sehr schnell, doch entwickelten sich in den verschiedenen Staaten jeweils eigene Varianten.«

Wie es u. a. in Deutschland weiterging schildert Prof. Dr. Hans Herrmann Höhmann in seinem Artikel. Und erneut zeigt sich, dass wieder gutes Marketing, hier: die Verpackung der Freimaurerei in der Aura des Geheimnisvollen, offenbar einen Teil zum Erfolg beigetragen hat:

»Die erste quellenmäßig belegbare Loge in Deutschland entstand 1737 in Hamburg, (…). Mitstifter war Baron Georg Ludwig von Oberg, der eine Woche später Stuhlmeister wurde (…). Oberg war es auch, der als Leiter einer Delegation der Hamburger Loge den preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich II., den Großen, im August 1738 in Braunschweig in die Freimaurerei aufnahm. Friedrich wurde sowohl vom toleranten Geist des Bundes als auch von der diesen umgebenden Aura der Verschwiegenheit angezogen. Bald amtierte er als ›Meister vom Stuhl‹ (Vorsitzender) der von ihm in Rheinsberg ins Leben gerufenen Hofloge.«

Mit der deutschsprachigen Freimaurerei ging’s fortan steil bergauf:

»So wurden in den ersten 50 Jahren der Bundesgeschichte, von 1737 bis 1787, rund 400 Logen gegründet. Zu einer weiteren Gründungswelle kam es im neugegründeten deutschen Reich nach 1871 (…).«

Und zur Entwicklung in der deutschen ›Nachbarschaft‹ schreibt Höhmann:

»Auch in Österreich fasste die Freimaurerei im 18. Jahrhundert Fuß und erreichte durch zahlreiche bedeutende Mitglieder bald ein hohes gesellschaftliches Niveau. (…) Heute haben die 60 Logen der ›Großloge von Österreich‹ über 2500 Mitglieder.«

Zur Vollständigkeit: Die Schweizer Großloge »Alpina« zählt heute mehr als 80 Logen mit rund 3.500 Brüdern. Die »Vereinigten Großlogen von Deutschland« bringen es zusammen genommen auf etwa 14.000 Brüder.

Wer und warum man Freimaurer wurde, beschäftigt Prof. Dr. Martin Papenheim von der Uni Augsburg in seinem Artikel. Und er kommt zum Ergebnis, dass Freimaurerei (heute ja vor allem mit Geistesgrößen und Adeligen in Verbindung gebracht), eher ein Phänomen der Mittelschicht war – aber eben nicht nur:

»Die Freimaurerei, so kann man zusammenfassen, spiegelte die Komplexität des bürgerlichen Zeitalters wider. In ihr suchten Männer Sinn, Geselligkeit und eine gewisse Distanz zum Alltag. (…) Zunächst einmal ist Freimaurerei eine Bruderschaft. (…), was ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Freimaurerei kann ein Netz sein, das eine an sich prekäre Existenz abfedert, ja sogar erst ermöglicht. Die Historikerin Gunilla-Friederike Budde hat dargelegt, wie viel Wolfgang Amadeus Mozart als ›freier Künstler‹ seinen freimaurerischen Gönnern verdankte.«

Und er kommt zu dem Schluss:

»Mit dem Zerfall der Bürgerlichkeit, sowohl im Sinn der Staatsbürgerlichkeit als auch bürgerlicher Kultur, hat es eine Wertegemeinschaft, die Brüderlichkeit, Beständigkeit, gepflegte Umgangsformen, Toleranz und Offenheit für Sinnfragen vertritt, schwer.«

Diese Einschätzung teilt zwar grundsätzlich auch Prof. Hans Hermann Höhmann in seinem abschließenden Artikel der Schwerpunkt-Serie, macht aber glücklicherweise auch gegenläufige Tendenzen aus:

»Es wird Bindung gesucht, Wertorientierungen haben Konjunktur, Nachdenklichkeit ist angesagt. Entscheidend für seine Zukunft wird daher sein, ob es der Freimaurerbund versteht, seine vielfältigen Ressourcen einzusetzen, bewährte Traditionen zu bewahren und zugleich für Innovationen offen zu sein. Dazu gehören Offenheit für Menschen und der Mut zu menschlicher Begegnung im Freundschaftsbund der Loge. Dazu gehört ferner eine Ritualpraxis, die den Reichtum alter Formen bewahrt, sich aber auch von überflüssigem und veraltetem Zierrat trennt. Und dazu gehört, sich – ohne Überforderung eigener Möglichkeiten – an den wichtigen Diskursen der Gegenwart zu beteiligen. Viele dieser Diskurse haben Beziehungen zur freimaurerischen Tradition, mögen sie sich auf die Weiterentwicklung der Aufklärung beziehen, auf die Ethosproblematik, die Aneignung und Umsetzung von Werten oder auf Reflexionen über Lebenskunst. Denn Freimaurerei verstand sich ja immer auch – gerade im Sinne von Lebenskunst – als eine ›königliche Kunst‹.«

Mein Fazit: »DAMALS – Das Magazin für Geschichte« mit seinem Freimaurer-Schwerpunkt ist nicht nur quer- sondern lesenswert. Es zeigt vor allem, was im Zusatzteil unter der Überschrift »Kein Buch mit sieben Siegeln« steht: Freimaurer haben sich im Laufe der Jahrhunderte von einem Geheimbund zu einer diskreten Gesellschaft gewandelt, die mehr denn je im Begriff ist, sich zu öffnen. Die durchaus auch selbstkritischen Artikel von Brüdern in DAMALS sind der beste Beweis.

Quelle: www.freimaurer-in-60-minuten.de / philip mimilitz